Einblicke in die kunstpädagogische Arbeit von Elisa Bauer

Dass Ort und Raum für die ästhetisch-künstlerische Bildung von Kindern und Jugendlichen tragend sind, ist unumstritten. Nur – Wie können wir uns einen Kunstunterricht vorstellen, der Möglichkeitsräume als Impulse für die ästhetisch-künstlerische Bildung anerkennt und identifiziert und darüber hinaus das Kuratieren dieser produktiv macht?
Elisa Bauer macht als Bildende Künstlerin (Meisterschülerin der Kunstakademie Düsseldorf) sowie als Absolventin des Grundschullehramtes mit dem Fach Bildende Kunst der UdK Berlin und Lehrkraft für besondere Aufgaben in der Grundschule der Künste der UdK spannende Vorschläge. »Die Arbeit der Nacht« heißt ein Setting, in dem Elisa Bauer Studierende des Lehramtes mit dem Fach Bildende Kunst wie Kinder einer Berliner Grundschulklasse mit einer »Totalen Installation« (Kabakov 1993) konfrontiert.
Lassen wir uns ein auf »Die Arbeit der Nacht«, steht diese dabei für das Unwägbare von Kunstunterricht wie auch für das Atmosphärische, das »nicht einfach so« wirkt, sondern von der Kunst-Lehrkraft initiiert werden muss.
Welche Gedanken und Überlegungen aber auch Überzeugungen hinter der kunst- und raumbezogenen kunstpädagogischen Arbeit von Elisa Bauer stehen, vermittelt ein Gespräch mit Kirsten Winderlich.

Kirsten Winderlich (KW): Die Räume, die du für die kunstpädagogische Arbeit gestaltest, erinnern an »Totale Installationen«, deren Wesen Ilya Kabakov einmal folgendermaßen beschrieben hat: »In der totalen Installation findet der Besucher eine für ihn völlig unerwartete Situation vor, in der Objekte voll und ganz mit ihrer Umgebung verwachsen sind und der Nachbar – der Betrachter selbst – in dieser Dimension zu einer Komponente der Gesamtheit wird.«11Kabakov 1993, 160 Wie nimmst du das Zusammenspiel von Material, Objekt und Kindern in deiner Installation wahr?

Elisa Bauer (EB): In dem Setting war es mir wichtig, dass es keine Hierarchien gibt. Alle befinden sich gleichberechtigt auf einer Ebene. Alle sind zugleich Zuschauer*innen und Akteur*innen. Alles kann und darf verändert werden. Der Raum bildet sich durch die verschiedenen Interaktionsebenen und befindet sich dadurch in ständiger Veränderung.
Besonders im Kontext von Schule und Unterricht empfinde ich oftmals ein starkes Gefälle. Die Sicht der Erwachsenen dominiert. Mir war es wichtig dem in gewisser Weise etwas entgegenzusetzen. Besonders im Künstlerischen empfinde ich Kinder Erwachsenen oft einen Schritt voraus. Sie setzen und platzieren ästhetisch-künstlerische Entscheidungen sehr zielgerichtet. Das konnte ich in dem Setting gut beobachten. Es wird nicht so lange gehadert.
Als Einstieg in das Setting hat die narrative Ebene, die Erzählung einer Person, die in der Nacht arbeitet und gerade nicht weiterweiß, geholfen. Dadurch hat sich eine besondere Atmosphäre gebildet, ein vorsichtiges Herantasten, »Heranschleichen«, ein behutsames Berühren der Objekte und Materialien. Aber auch die Anwesenheit der Kinder, ihre Zuarbeit und die Wertschätzung ihrer Perspektive haben eine besondere Bedeutung.

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KW: Nun werden die Betrachter*innen in einer »Totalen Installation« durch ihre Rezeption Teil der Installation. In deinen Installationen intervenieren die Betrachter*innen resp. Kinder konkret, legen »Hand« an, transformieren und erweitern. Vielleicht kann man sogar sagen, dass die Kinder durch ihre Interventionen Teil der Installation werden. Wie konkretisieren sich die Interventionen konkret in »Die Arbeit der Nacht«? Magst du Beispiele geben oder eine Bildungsgeschichte erzählen?

EB: In der Lehre der grund_schule der künste stellt die Beobachtung und Dokumentation von Lern- und Bildungsprozessen eine wichtige Grundlage dar. Ausgangspunkt für das Seminar ist, dass ein künstlerisches Setting als ästhetisch reflektierte Lernumgebung vielfältige Bildungsbewegungen hervorlocken kann. In meinem Verständnis bieten diese Beobachtungen die Grundlage, um daran anknüpfend Kunstunterricht zu planen. Bestandteil des Seminars war es also, neben der Schaffung eines solchen Settings, die Kinder in ihren Prozessen zu begleiten und zu beobachten. Ausgehend von diesen Beobachtungen sollten im Anschluss Re-Inszenierungsmöglichkeiten für ein daran anknüpfendes Lernen thematisiert werden.

Ein Beispiel, das ich hier aufgreifen möchte, spielte sich in einer Art »Nische« ab, in die sich die Kinder hinter einem Vorhang zurückziehen konnten. In der Nische gab es eine große transparente Plexiglasplatte, auf der ein weißer Sandhügel, verschiedene Pinguinfiguren, Taschenlampen, Gefäße, Wasser, ein iPad zum Fotografieren und Filmen angeordnet waren. Die Nische zeichnete sich außerdem dadurch aus, dass dort keine erwachsene Person Platz finden konnte, diese also nur den Kindern zugänglich war. Der Ort wurde von unterschiedlichen Kindern intensiv »bespielt«, teilweise über längere Zeiträume, sowie gemeinsam als Gruppe.

Außerdem ermöglichte das Setting, in Form von Notizen und kleinen Botschaften eine Nachricht an die Künstler*innen-Person zu hinterlassen. Ein Kind schrieb als Antwort auf die Frage, »wie könntest du dem Künstler/ der Künstlerin weiterhelfen, und welche Ideen hast du, um ›Die Arbeit der Nacht‹ fortzuführen« folgenden Satz: »Vielleicht könntest du mal verreisen.«

An dieser Stelle würde ich gerne die Überlegungen eines Studierenden aufgreifen, der
anknüpfend an die beiden Beobachtungen einen weiterführenden Impuls formuliert:
»Die Künstler*innen-Person ist leider wieder abwesend, weil diesmal auf Reisen. Zuvor hat sie die begonnenen Arbeiten der Kinder begutachtet und fortgeführt (bsp. durch Tonarbeiten, Mehl- und Sandgemische). Sie hinterlässt einen Brief und sendet auch ein kryptisches Reisevideo an die Kinder, auf dem man die Person nicht sieht, sondern nur sprechen hört. Parallel dazu werden Fotos von ihrer Reise gezeigt. Diese sind jedoch keine gewöhnlichen Reisefotos, sondern Zeichnungen, Skizzen, kleine Detailaufnahmen, Spuren (wie im Brief erwähnt), Lichtquellen, Scans etc.« (J.R)

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KW: Im Hinblick auf deine kunstpädagogische Arbeit möchte ich den Blick auf Eckpfeiler der Planung, auf das Lernen der Kinder und die Art und Weise der Reflexion lenken.
Wenn wir uns von der »Arbeit der Nacht« für die Gestaltung von Kunstunterricht anregen lassen möchten, was ist deiner Erfahrung nach für die Planung zu beachten?

EB: Mein Anliegen, bezogen auf den Kunstunterricht ist es, dass Kinder (gestaltete) Räume erfahren, in denen sie eigene Aufgaben finden können. Nicht die Lehrkraft entscheidet über diese Aufgaben, die dann von allen Kindern in der gleichen Art und Weise, derselben Technik, mit demselben Material und derselben Arbeitsweise angefertigt werden. Ich denke eher an eine Situation im Atelier, in der die Kinder, angeregt von ihrer Umgebung, mit den Dingen und Materialien in ihre »Arbeit kommen«. Arbeit ist für mich ein wichtiger Begriff, weil es hier um etwas Ernsthaftes geht, um etwas, das einen bewegt. Arbeit hat also nichts mit einer Aufgabe gemein, die von außen an einen herangetragen wird und lediglich abgearbeitet wird. Mir ist es wichtig, dass die Kinder ihre Arbeit als sinnvoll und sinnstiftend erleben.
Die Aufgabe der Lehrkraft sehe ich darin, zunächst einmal eine Umgebung zu schaffen, die die Kinder herausfordert und ihnen vielfältige Möglichkeiten zum Experimentieren und Erproben bietet. Aus den Beobachtungen der Kinder lassen sich im Anschluss weitere Unterrichtseinheiten planen. In unserem Fall hatte ich den Eindruck, dass allein die Spuren, die sich durch die Arbeit der Kinder zeigten, vielfältige Anschlussmöglichkeiten ergaben. Auffallend war z.B., dass sich die Kinder intensiv mit den unterschiedlichen Materialien, wie Ton, Sand, Gips etc. beschäftigten. Hier würde ich ansetzen und im Kunstunterricht differenzierte Erprobungen von Materialqualitäten ermöglichen.

KW: Was können die Kinder in einem derart gestalteten Kunstunterricht lernen?

EB: Kunst hat für mich vor allem mit dem Blick in die Welt zu tun. Um die Welt in ihren vielen Facetten wahrzunehmen, muss man neugierig sein, Fragen stellen. Kinder wollen die Welt begreifen, sie wollen gestalten, sie wollen berühren und berührt werden. Der beschriebene Kunstunterricht bietet gerade deswegen den Kindern die unverzichtbare Chance, ihre Wahrnehmung für ihre Umgebung zu sensibilisieren, diese gestaltend zu bearbeiten sowie einen (künstlerischen) Ausdruck für ihre Erfahrungen zu finden.

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KW: Mir fällt auf, dass du deine kunstpädagogischen Settings fotografisch, oft auch Schwarz-Weiß, dokumentierst – und dieses im »unberührten« Zustand wie während und nach der Intervention der Kinder. Kannst du etwas über dein bildgestütztes Konzept der Reflexion sagen? 

EB: Das Entleeren von Farbigkeit in der Schwarz-Weiß Fotografie nutze ich, um die Gesamtkomposition, die Struktur des Settings sichtbar zu machen. Während des Arbeitens mit den Kindern blicke ich oft durch den Sucher der Kamera auf sie. Das hilft mir vor allem im Nachhinein darüber nachzudenken, was da eigentlich passiert. Die Flüchtigkeit des Moments kann ich mir dann – so lange ich es brauche – anschauen, die Bilder vergrößern oder in sie hineinzoomen. Diese Form der Dokumentation ist ein Prozess des Verstehen-Wollens. Die fotografische Dokumentation hilft mir demnach, in Kontakt zu den Kindern zu treten, oder besser einen Zugang zu dem Tun der Kinder zu erhalten. Es wird dadurch für mich in gewisser Weise greifbarer, was geschehen ist. Deshalb ist es mir so wichtig, auch den »unberührten« Zustand zu dokumentieren – eben um ihn dann im Verhältnis zu den Spuren, die sich am Ende zeigen, zu setzen.

Abbildungen

Elisa Bauer

Literatur

Kabakov, Ilya (1993): Noma und der Kreis der Moskauer Konzeptualisten. Ostfildern-Ruit.